Interview mit Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin

23 October 2019
Interview mit Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin

Herr Müller, warum ist Berlin eine fortschrittliche Stadt?​

Berlin hat sich seit dem Fall der Mauer, den wir am 09. November 2019 zum 30sten Mal feiern, wie kaum eine andere Stadt in der EU neu erfunden. Berlin ist als weltoffene, tolerante und innovative Metropole Anziehungspunkt für kreative und taltentierte Menschen aus der ganzen Welt. Sichtbarster Ausdruck dieser Entwicklung ist das rasche Bevölkerungswachstum der Stadt auf heute 3,8 Mio. Einwohner bei jährlichen Zuzügen von rund 40.000 Neuberlinerinnen und -berlinern. Berlin wird als Standort für Zukunftsindustrien und -technologien auch künftig konsequent gestärkt. Eine wichtige Rolle hierbei spielen die sogenannten Zukunftsorte, wie zum Beispiel der international renommierte Wissenschafts- und Technologiepark Adlershof, an denen vor Ort Netzwerkstrukturen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft existieren bzw. geschaffen werden. Der tatsächlich gelebte Austausch und die Kooperationen von Wirtschafts-, Forschungs-, und Technologieeinrichtungen fördern die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der regionalen Wirtschaft. Die Zukunftsorte mit ihren attraktiven Flächen für technologie- und wissensorientierte Unternehmen, die Raum für innovative Ideen und Kreativität bieten, sind ein entscheidender Baustein dazu. Seit Anfang April 2019 gibt es mit Siemensstadt 2.0 in Spandau einen weiteren Zukunftsort, der zu einem neuen Innovationcampus entwickelt wird. EU-Fördermittel, insbesondere aus den Strukturfonds und dem Forschungsrahmenprogramm, unterstützen die weitere Optimierung der Rahmenbedingungen für die Vernetzung von Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft. Nicht zuletzt tragen Kooperationen von Berliner Einrichtungen in europäischen und internationalen Netzwerken zu Austausch und der weiteren Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit in einer globalisierten Wirtschaft bei.

 

 

 

Wie trägt Berlin zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele vor Ort bei und welches sind dabei Berlins Prioritäten? ​

Berlin hat sich zum Ziel gesetzt, spätestens 2050 klimaneutral zu sein. Die städtischen CO2-Emissionen sollen nach dem Berliner Energiewendegesetz bis zum Jahr 2030 um 60 % und bis zum Jahr 2050 um mindestens 85 % im Vergleich zu 1990 sinken. Berlin strebt eine weitere CO2-Einsparung auf 95 % an. Die Strom- und Energieerzeugung aus Braunkohle wurde bereits 2017 beendet. Bis 2030 sollen nun die steinkohlebefeuerten Blöcke der Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Mit einem Masterplan Solarcity will Berlin den Solarstromanteil in der Stadt erhöhen. Die vielfältigen Programme und Strategien auf dem Weg zur Klimaneutralität sowie zur Klimaanpassung finden sich im Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm 2030. Die öffentliche Verwaltung geht voran und will bereits 2030 klimaneutral sein. Aufbauend auf langjähriger Erfahrung mit umweltfreundlicher Beschaffung stärkt Berlin gerade die ökologischen und sozialen Aspekte der öffentlichen Ausschreibungen mit einer Gesetzesnovelle weiter.

Um die Verkehrswende voranzutreiben, wurde der Vorrang des ÖPNV, des Fuß- und des Radverkehrs vor dem individuellen motorisierten Verkehr in Berlin gesetzlich verankert. Die notwendige Infrastruktur wird kontinuierlich verbessert. Auf der Grundlage des Luftreinhalteplans und des Lärmaktionsplans ergreift Berlin zahlreiche Maßnahmen, um Belastungen zu reduzieren.

Mit dem Aktionsplan „Zero-Waste“ soll die bestehende Abfallwirtschaft zu einer modernen und geschlossenen Kreislaufwirtschaft weiterentwickelt werden. Um den Weg in ein nachhaltigeres urbanes Ernährungssystem zu ebnen, wurde die Berliner Ernährungsstrategie erarbeitet.

Berlin ist bestrebt, bei den konkreten Maßnahmen mehrere Nachhaltigkeitsziele gleichzeitig zu verwirklichen. So ging beispielsweise die energetische Sanierung des Gebäudes der Freien Waldorfschule Prenzlauer Berg unter ressourcenschonendem Einsatz nachhaltiger und gesunder Baustoffe mit einer naturnahen Schulhofgestaltung durch Entsiegelung und Regenwassernutzung einher.

Nicht zuletzt engagiert sich Berlin im Metropolis-Netzwerk für die Stärkung der Nachhaltigkeitsziele im städtischen Kontext. Die auf Berliner Initiative entstandene interaktive Plattform „use“ (Urban Sustainabilty Exchange) versammelt Expertenwissen und beste Beispiele nachhaltiger Städtepolitik und dient dem gegenseitigen Lernen.

 

Wie haben europäische Fördermittel Berlin dabei geholfen?

In der Förderperiode 2014-2020 erhält Berlin rund 635 Millionen Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, um wirtschaftsnahe Investitionen in Forschung und Entwicklung, strukturrelevante Gründungen, Maßnahmen zur CO2-Minderung und eine nachhaltige Stadtentwicklung zu fördern. Mit den Mitteln werden u. a. Anstrengungen im Zusammenhang mit dem Klimaschutz und die Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung in der Stadt unterstützt. Strukturfondsmittel bilden einen verlässlichen finanziellen Rahmen, um langfristige Strategien erfolgreich voranzubringen. Mit ihrer Hilfe können Ergebnisse schneller und umfassender erreicht werden als ohne Kofinanzierung. Strukturfondsmittel eignen sich in besonderer Weise, um positive Beispiele zu schaffen, z. B. bei komplexen längerfristigen Vorhaben, die unterschiedliche Zielstellungen gleichzeitig erreichen sollen wie zum Beispiel: Umweltschutz, Klimafolgenanpassung, Förderung von KMU, Minderung von Lärm- und Luftbelastungen, Verbesserung des Stadtklimas und der Biodiversität.

Rund 215 Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds stehen Berlin in der laufenden Förderperiode zur Verfügung. Die Mittel werden in die Bürgerinnen und Bürger der Stadt investiert. Schwerpunkte sind dabei die soziale Eingliederung benachteiligter Gruppen, die bessere Qualifizierung für einen Arbeitsplatz, die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit sowie die Optimierung der allgemeinen und beruflichen Bildung.


Michael Müller ist seit 2014 Regierender Bürgermeister von Berlin. Er gehört der SPD an.

 

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Photo credit: Unsplash/Jonas Tebbe

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